Otl Aicher

Otl Aicher (1922-1991)

Gestalter und Vor-Denker

 

Im Spätsommer 1939 lernten sie sich kennen: Inge Scholl (*1917) und Otl Aicher (*1922). Inges jüngster Bruder Werner hatte seinen Schulkamerad zu den Scholls mit heim gebracht. Dem schien die lesefreudige Stimmung dort zu gefallen. Und er konnte auf viele Bücher verweisen, die er selbst wahr genommen hatte. Darunter solche, die die Nazi-Regierung nicht gerne sah.

Es dauerte dann noch über 12 Jahre, bis Inge Scholl und Otl Aicher heirateten:
am 7. Juno 1952 in St. Anna, München. Die Trauung segnete Romano Guardini.
Kurz zuvor, im Frühjahr  ’52, hatte Inge Scholl ihr Buch „Die Weiße Rose“ erstmals veröffentlicht.

Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher – bestimmt kein typisches Paar in der jungen Bundesrepublik Deutschland. Damals durfte ein Ehemann den Arbeitsvertrag seiner Gattin kündigen – ohne ihre Zustimmung. Kein Zweifel: Da stellte Inge Aicher-Scholl als Gründerin und Leiterin der vh Ulm, der Ulmer Volkshochschule eine Ausnahme dar.

Diese Bildungseinrichtung ins Leben zu rufen, hatte indes Otl Aicher Inge Aicher-Scholl vorgeschlagen. Zusammen gehörten beide jenem Kreis an, der sich seit 1953 für die „Hochschule für Gestaltung“ (HfG) in Ulm stark machte.

Otl Aicher leitete die HfG zeitweise als Rektor. Doch als 1968 deren offizielles Ende bekannt gegeben wurde, hatte Aicher schon andere Aufgaben. Da diente er in München als „Gestaltungsbeauftragter“ der Olympischen Spiele von 1972.  Ein offenes, freundliches, demokratisches Deutschland wollte er mit ihnen zeigen: „heitere Spiele“. Was sein Büro damals in München erarbeitete, zeigt seit 2012 die Ausstellung „Regenbogenspiele“. Offenkundig enttäuscht von der HfG-Schließung folgte Otl Aicher einer Fährte, die ihn schon Jahrzehnte vorher fasziniert zu haben scheint: Arbeiten in einer Klosterzelle.

„Darf’s auch etwas größer sein“, fragte ihn damals vielleicht Dr. Walter Münch (1911-1992) – 1950-1972 Landrat von Wangen im Allgäu (heute Kreis Ravensburg). Münch suchte und förderte Köpfe, die heute wohl als  „Querdenker“  gelten. Also wies er Otl Aicher auf die Rotismühle bei Leutkirch hin. Deren Eigentümer wollte verkaufen. Ab 1971 ließen Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher dieses Anwesen zu dem ausbauen, was der Gestalter „autonome republik rotis“ nannte. Genaueres zum Ort unter www.rotismuehle-aktuell.de

Hier entwickelte Otl Aichers Büro seit 1972 „Erscheinungsbilder“ – sowohl für Orte wie Bad Waldsee und Isny als auch für fsb und das ZDF. In Rotis entstand die gleichnamige Schrift. Ein rundes Dutzend Leute waren in der ehemaligen Rotismühle beschäftigt.

Weniger bekannt: Otl Aicher entwarf damals auch Möbel. Die meisten davon durch örtliche Handwerker gefertigt in ganz kleiner Stückzahl. Zum Eigenbedarf. Aber durchaus auch zum Tafeln mitgenutzt von Willy Daume, Norman Forster, Hans-Joachim Friedrichs … Ein Einzelstück von diesen Tischen gibt es bei Christine Abele-Aicher, Herausgeberin des Buchs „Die sanfte Gewalt. Erinnerungen an Inge Aicher-Scholl“ unter www.rotismuehle-aktuell.de/de/otl-aicher-moeb.html

Übrigens: Mit passenden Stühlen, ebenfalls von Otl Aicher entworfen.